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Analyse 11.02.2020

Was uns eint und was uns trennt.

Weshalb regen sich alle so auf? War das nicht eine “ganz normale demokratische Wahl” in Thüringen, wie Alexander Gauland (AfD) bei Maybritt Illner sagte? Können Wahlvorgänge, die einem nicht passen einfach “rückgängig” gemacht werden, wie Angela Merkel (CDU) verlauten ließ? Worauf kann noch vertraut werden in einer liberalen Demokratie?

Die Aufregung entstand, da etwas Grundsätzliches ins Schwanken geriet. Das Grundsätzliche ist das Verständnis darüber, was die Demokratie ausmacht. Nun benötigt es keine akademische Abhandlung darüber, wie unsere liberale Demokratie genau definiert werden könnte. Für ein grundlegendes Vertrauen genügen ein paar wesentliche Merkmale. Die Demokratie als Gesellschaftsform versteht Menschen stets im Plural: sie sind vielfältig und unterschiedlich und vor dem Gesetz doch alle gleich. Die Freiheiten der Menschen in einer Demokratie gelten für alle. Politik versteht sich dabei als Interessensaushandlung. Gewählte Vertreter*innen der Bevölkerung treten für die Vielfalt der Werte und Wünsche ein, die es so gibt. Die Mehrheit achtet dabei stets auch auf die Minderheit. Gemeinsam wird ausgehandelt, welche Ziele wie verfolgt werden - alles im Rahmen des Grundgesetzes. Es wird sich gestritten, jedoch respektiert.

Die Ideologie des (r)einen Volks.

Selbstredend streiten sich dabei Parteien besonders viel, die höchst unterschiedliche Vorstellungen von dem vertreten was ‘das Beste ist’. Ihr Streit ist mal destruktiv und führt zu wenig, mal ist er aber auch sehr förderlich: neue Perspektiven treten auf, Profile schärfen sich, Kompromisse werden geschlossen. Bei der rechtspopulistischen und rechtsradikalen AfD ist das nicht der Fall. Sie denkt und funktioniert strukturell anders als die anderen Parteien. Ihr liegt eine Ideologie zu Grunde, die besagt: es gibt ein Volk mit einheitlichen Bedürfnissen. Andere müssen sich der Mehrheit unterordnen. Das Volk ist rein und hat Recht. Dem Volk gegenüber steht die herrschende Klasse, Elite genannt. Sie vertritt das Volk nicht, sondern handelt eigennützig, verlogen und unrechtmäßig.

Das ist keine Vorstellung eines Plurals. Es ist sogar anti-pluralistisch. Somit kann argumentiert werden, dass die AfD strukturell, also grundlegend, undemokratisch veranlagt ist. Soweit die Theorie. Ganz praktisch zeigt sich diese Art zu Denken auch im Handeln der AfD. Sie werten Menschengruppen ganzheitlich ab, die nicht ihrer Vorstellung des reinen Volkes entsprechend. So zum Beispiel Menschen anderer Religion oder bestimmter Sexualitäten. Die Abwertung geschieht zunächst in Form der Sprache, dann in politischen Forderungen jenen Menschengruppen Rechte zu entziehen. So forderte der AfD Abgeordnete Albrecht Glaser bereits, Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit abzusprechen. Hetze statt Aushandlung. Völkisch statt gesellschaftlich. Rechts statt rechtens.

Im Gewand der Bürgerlichen.

Viele Vertreter*innen der AfD verkleiden ihre völkisch autoritären Vorstellungen, um akzeptierter zu sein, um Schritt für Schritt mehr Macht und Einfluss zu gewinnen. So nennen sie sich selber gerne “konservativ” oder “bürgerlich”. Doch eine undemokratische Denkweise, die keinen Respekt vor den Andersdenkenden hat, kann keine bürgerliche sein. Offengelegte Strategiepapiere der Partei zeigen auf, dass eine harmlose Darstellung ihrer tatsächlichen Praktiken bewusst gewählt ist. So forderte der Vorsitzende Alexander Gauland auf dem Kyffhäusertreffen seine Parteigefährt*innen dazu auf sich, “auch mal auf die Lippe zu beißen”. Die Partei darf nicht allzu sehr den Anschein erwecken, destruktiv und antidemokratisch zu sein, denn sonst würden sie nicht mehr gewählt werden und an Einfluss verlieren.

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland hat erkannt, dass etwas grundsätzliches mit der AfD nicht stimmt: ihre antidemokratische Ideologie. Einige fühlen es ganz einfach, im Bauch, im Herzen - oder am eigenen Leib. Andere lesen dazu Texte und Analysen und ordnen es somit ein. Ein anderer und nicht zu verachtender Teil der Bevölkerung jedoch, scheint es nicht zu sehen oder sogar für gut zu heißen. Um jene zu erreichen, stellt Kleiner Fünf Tipps zur Verfügung. Wir erarbeiten rhetorische und inhaltliche Gesprächsleitfäden, denn wir glauben an den Dialog zwischen Menschen die sich kennen und schätzen.

Wider der Normalisierung.

Fatal ist es jedoch, dass gewählte Vertreter*innen der demokratischen Parteien Schwierigkeiten haben, das Antidemokratische an der AfD zu sehen. Einige schaffen es nicht, zu verstehen, dass programmatische Unterschiede (also Unterschiede im Parteiprogramm der Grünen und der CDU zum Beispiel) eine ganz andere Kluft darstellen, als strukturelle Unterschiede: demokratisches Verständnis oder antidemokratische Ideologie. Das was uns trennt, sind Vorstellungen über die richtige Klimapolitik, das beste Wirtschaftsverständnis oder die effektivste Bildungspolitik. Nicht aber das Verständnis, dass eine liberale Demokratie gut und richtig ist. Demokratische Parteien, von CSU bis LINKE trennen charakteristisch und programmatisch unzählige Einzelheiten, jedoch eint sie ihr demokratischer Wesenskern. In diesem müssen sie zusammenhalten. Dieser Kern schützt und stärkt uns alle, die in dieser Demokratie Zuhause sind.

Was in Thüringen bei der Wahl zum Ministerpräsidenten passiert ist, ist kein gewöhnlicher, demokratischer Vorgang. Es ist ein Kulturbruch. Der Wahlvorgang mag ein normaler Prozess sein, die Annahme der Wahl durch Kemmerich (FDP) jedoch war ein verheerender Fehler. Und ganz sicher ist: nur weil die AfD bei einer demokratischen Wahl gewählt wurde, ist sie noch lange keine demokratische Partei. Wir, Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen Werten und Wünschen, müssen vertrauen können auf die demokratischen Parteien. Sie dürfen den Anti-Demokrat*innen keine Tür öffnen. Jegliche Zusammenarbeit bedeutet ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Normalisierung des Extremen. Die verschlagene Taktik der kleinen Schritte ist manchmal schwer zu erkennen, denn sie verkleidet sich. Doch jeder Millimeter hin zur undemokratischen Ideologie, ist einer zu viel, den früher oder später alle bereuen werden. Da dies bereits einmal in Deutschland geschah, sprechen viele von “Geschichtsvergessenheit”.

Eine Wahl ist nicht rückgängig zu machen. Sie ist geschehen. Es gilt aus ihr zu lernen und nicht zu wiederholen. Es liegt in der Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber aller demokratischen Politiker*innen eines ganz deutlich zu machen:

Die Grenze verläuft entlang des Demokratischen.